Kapitel 1
Die Geschichte der Morgenröte
1
„Kaum hatten sie den Gipfel des Silberberges erklommen, hörten sie es bereits schnauben und stauben. Sodann schlugen zwei schwere Schwingen in den Eiswinden und der Drache Irkarchil zeigte sein silbernes Antlitz. So schön er vielleicht anzusehen war mit seinem silbrigen Glanz, so blutrünstig war er auch. Doch die beiden Helden ließen sich nicht von ihrer Aufgabe abbringen. Entschlossen packte Ulrich seine Klinge und zog sie aus der Scheide …“, der alte Mann klopfte dabei auf die Scheide an seinem Körper, in der das alte Schwert steckte. „und rief dessen Namen mit lauter Kehle: ‚Langharon, leih mir deine Kraft um dieses Untier zu spalten‘ …“, seine Stimme wurde lauter und lauter während die Kinder zurückhuschten, „ ‚und es in die Ewigkeit zu verdammen, in die es gehört!’“
Mit so monotoner Stimme seine Geschichten auch immer anfingen, um so imposanter versuchte er sie auszuschmücken, wenn es spannend wurde.
„Nach solch starken Worten fühlte sich der Drache selbstverständlich beleidigt, das könnt ihr sicherlich verstehen. Ein stolzes Tier wie ein Drache lässt sich nicht einfach so anbrüllen, ohne sich bei dir in irgendeiner Weise dafür erkenntlich zu zeigen. Also folgte ein bitterer Kampf zwischen dem Drachen Irkarchil und den beiden Helden Ulrich und Uz. Wie ihr wisst Kinder, habe ich es überlebt …“, die Kinder staunten nicht schlecht als sie das hörten. Der fremde alte Mann war also ein waschechter Held! „Doch Uz wurde vom Drachen leider unerwartet und hinterhältig getötet. Ich kann’s euch sagen: Danach wurde ich zur Bestie und köpfte nach wenigen Stunden das Untier“
Darauf wurde er von einem ungläubigen Kind unterbrochen: „Waaas!? Nach Stunden!?“
Ulrich lachte süffisant. „Ja, mein Junge. Kämpfe mit Drachen dauern nicht selten sogar Tage. Glaube mir, die Viecher sind zäh und ihre Haut ist hart wie Stein. Du musst erst mal die verwundbare Stelle von dem Untier finden, bevor du es töten kannst. Jeder Drache hat mindestens einen Schwachpunkt, man muss nur wissen, wo man fündig wird!“
Danach erzählte er alle Details des Kampfes und wie heldenhaft er gehandelt hatte. Nach alledem habe er auch die Leiche seines Freundes Uz auf dem Rücken ins Tal gebracht um ihn würdevoll zu begraben. Was die Kinder jedoch nicht wussten, war, dass Uz zwar wirklich in jungen Jahren gestorben und unter anderem von Ulrich begraben worden war, doch an einem Handwerksunfall, als er vom Dach fiel.
Als die Geschichte vorbei war, gingen die Kinder mit pochendem Herzen hinfort. Einige Naivlinge, die alles für die absolute Wahrheit hielten, mit strahlenden Gesichtern und die anderen – die meist schon etwas älteren – blickten ihn noch ein wenig skeptisch hinterher, als er den Dorfplatz verließ. So ein alter Knochen soll mal einen Drachen erschlagen haben? Niemals.
Diese skeptischen Blicke bohrten sich in Ulrichs Haut, tief und noch tiefer, selbst, wenn er ihnen den Rücken zugewandt hatte, fühlte er sie noch. So sehr er es auch bedauerte, dies waren die Geschichten, die er in Wahrheit lieber wirklich erlebt hätte, als sie heute als alter Mann zu erzählen. Auch wenn er dabei gestorben wäre.
Die Geschichten erzählte er nur, um einen kleinen Nebenverdienst zu erhalten und sein eigenes Ego zu besänftigen. Wenn man schon kein Held war, so konnte man es wenigstens den anderen weismachen. An einem ganzen Nachmittag erhielt er ein paar Schillinge von den Eltern, die sich darüber freuten, ihre Kinder für ein paar Stunden loszuwerden. Kein schlechtes Geld für leere Worte, so dachte er sich häufig, doch lieber wäre es ihm noch immer, wenn es nicht bloß Geschichten gewesen wären. Er wäre lieber als anerkannter Recke in der Schlacht gestorben, so wie es sich für einen richtigen Helden eben gehört, und hätte somit in den Köpfen der Menschen weitergelebt oder würde als Statue verewigt werden. Aber so sollte es eben nicht sein. Für ihn war er ein Nichts und niemand würde je von ihm erzählen, sobald er tot war. Seit sie fort war, fühlte er sich so unvollständig und leer. Ihm fehlte ein Stück seiner Seele. Von weitem glaubte er ein paar Männer des Dorfes lästern zu hören, die ihn wiedererkannten und als den Idioten beschimpften.
2
Der Abend brach allmählich an und die warmen Sonnenstrahlen wurden mittlerweile von der anbrechenden Nacht ins Abseits gedrängt und genauso, wie sich der blaue Himmel verfinsterte, verfinsterte sich auch seine Stimmung und er wurde wieder mürrisch und depressiv. Als er endlich seine Hütte auf dem Hügel am Waldrand erreichte – eine schöne Hütte von außen, doch innen waren Spinnweben und Unordnung so normal wie Schnee im Winter und Hitze im Sommer – war es bereits stockfinster und die Sterne glimmten am Nachthimmel.
Er betrat sein Reich, nur um anschließend mit einer Flasche Alkohol wieder herauszukommen – Rotwein, um genau zu sein. Draußen standen ein schäbiges, dreckiges Tischchen und eine kleine Sitzbank, auf welche er sich sogleich setzte und gen Himmel starrte. Obwohl er gleich neben dem Wald wohnte, hatte er selbst nachts keine Angst davor, von Räubern oder wilden Tieren angegriffen zu werden. Er hatte keine Angst vor dem Tod; nein, er fieberte ihm sogar auf gewisse Weise entgegen. Das Einzige, das ihm manchmal den letzten Nerv raubte, waren die Balzrufe der Kokormos. Diese flugunfähigen Vögel, die klein und beinahe kugelrund waren, wuselten zu dieser Jahreszeit in wahren Horden im Wald und natürlich auch am Waldrand, nebst Ulrichs Hütte, herum.
Da saß er nun, betrachtete den Himmel und dachte, wie so oft, über sein sinnloses Leben nach und wurde mit jedem Schluck den er nahm melancholischer … und vor allem betrunkener. Er hätte vieles in seinem Leben geändert, wenn ihm nur die Möglichkeit dazu geboten worden wäre. Erst seit einem Tag war er wieder in Goldwald, dem Dorf in dem er aufgewachsen war, und sehnte sich sogleich wieder nach der Ferne. Auf ewiger Wanderung zu sein, schien das einzig Sinnvolle in seinem Leben, das einzige, das die unerklärliche Leere in ihm zu erklären versuchte. Er hatte viel gesehen, viel getan, doch mit seinen Handlungen würde er nie in die Chroniken eingehen. Da er jedoch selten länger an einem Ort blieb, kamen seine Heldengeschichten glaubhafter herüber. Wer hätte ihm geglaubt, wenn er sein ganzes Leben lang am selben Ort gehaust hätte?
Echt Wahnsinn!
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Vielen lieben Dank 🙂
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Mir würde es schon viel helfen, wenn ich Geschichten ausdenken könnte. Bei mir sind es immer nur kurze Abschnitte. Selbst Abenteuer zu erleben wäre aber auch toll.
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Kurze Abschnitte sind doch schon ein sehr guter Anfang 🙂 Die Kunst läge dann nur noch darin, jene miteinander zu verbinden 😉
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Netter Effekt am Anfang, wenn sich das Geschehen als Geschichte entpuppt.
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War ein ungeplanter Effekt, freut mich aber, wenn es ankommt 🙂
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