„Was würde ich nicht dafür tun, einen Nimmerling zu Gesicht zu bekommen. Seit Stunden sitze ich hier nun, und keiner traut sich hervorzukommen.“ – Willi’jhom das Blumenkind
„Mein Vetter übte sich einst im Holzfällen. Seit er ihre Stimmen gehört hat, macht er um jeden Wald einen großen Bogen …“ – Friederich der Gute
Nimmerlinge werden häufig als Fabelwesen beschrieben, Kreaturen, die nur im Geiste existieren und nirgendwo sonst. Sie gelten als die Sprachrohre der Bäume, falls diese ungesprächigen Pflanzen wirklich je etwas zu sagen hätten. Diese Geister können sich in Luft auflösen, so heißt es; dies mag wohl der Grund sein, warum keiner an ihre Existenz glaubt. Oft werden sie als ein etwa schädelgroßer, haselnussähnlicher, brauner Körper beschrieben, mit drei tiefen, leeren, schwarzen Löchern; jeweils bei den Augen und beim Mund. Aus ihren Schalen hängen schlaksige Arme und kurze Beine und viele verzieren ihren Körper entweder mit den Blättern des Baumes, den sie als Heim beanspruchen, oder mit Ästen, Zweigen oder Ähnlichem. Wenn ein Nimmerling aufkeimt, ist das Erste, das er zu tun hat, sich seinen Lebenspartner zu suchen. Manche behaupten, dass Nimmerlinge dies aus gar nicht so selbstlosen Gründen machen, denn sie profitieren daraus mehr, als man denkt. Es mögen zwar reine Baumgeister sein, Wesen, die sich gar nicht bis kaum ernähren müssen – beziehungsweise noch nie dabei gesehen worden sind – dennoch scheinen sie die Kraft der Bäume anzuzapfen. Nun mögen Sie mich vielleicht als verrückt erklären, als einen Spinner, da noch nie jemand beweisen konnte, wirklich einen zu Gesicht bekommen zu haben, aber ich habe einen gesichtet. Glauben Sie mir, es ist auch schwierig, so etwas zu beweisen. Entreißt man den Nimmerling seinem liebgewonnen Freund – dem Baum – verkümmert er innerhalb weniger Stunden und zerfällt in feinste Brösel, nachdem er geklagt und geweint hat, wie ein Säugling. Auch die Pflanze leidet darunter und wird unter Umständen krank, geht ein oder wird anfällig für Schädlinge. Bemerkenswert dabei ist, dass diese Verbindung so eng verknüpft zu sein scheint, dass kein anderer Baum dem Nimmerling wieder auf die Beine helfen kann; oder auch umgekehrt.
Diese Symbiose konnte ich bis heute noch nicht erklären, besonders, da sich mir nie wieder eines dieser Tierchen gezeigt hat. Nimmerlinge sind nachtragende Geschöpfe und spucken, sobald sie sich wirklich dazu entschlossen haben, sich zu zeigen und zu sprechen, sehr große Töne. Sie drohen einem mit dem Tod, da sie von jedem Menschen befürchten, dass sie ihre Bäume fällen möchten oder Ähnliches. Logischerweise können sie einen nicht so einfach töten, da sie dafür ihren Baum für längere Zeit verlassen müssten und sich dank ihres meist klobigen Körpers kaum rühren könnten, ohne dass man es bemerkt. Aber weise Männer behaupten, dass diese Kreaturen sogar Magie wirken könnten, wenn sie wirklich in Bedrängnis geraten würden. Dies erklärt jedoch nicht, warum so viele Holzfäller noch am Leben sind; oder sprechen sie Flüche aus, die einen ein Leben lang begleiten?
Natürlich kann man bei so raren Wesen nur spekulieren, doch ich würde sehr stark davon abraten, einen in Gefangenschaft zu halten. Nimmerlinge erscheinen ohnehin von selbst, sobald sie einen geeigneten Baum gefunden haben. Also pflanzen Sie einen im Garten oder vor dem Haus und gut ist. Wenn einer Interesse zeigt, würden Sie es zwar nicht einmal mitbekommen, doch wenn ihr Baum innerhalb kürzester Zeit stirbt, liegt es wohl daran, dass kein Nimmerling sein Pate geworden ist. Entreißen Sie einen aus seinem gewohnten Umfeld, hätten Sie bloß ein unschuldiges Geschöpf getötet, doch glauben Sie mir, Sie würden ohnehin nie einen zu Gesicht bekommen. Sie spüren, was man vor hat. Also schlagen Sie sich bitte diese irrwitzige Idee aus dem Kopf. Es ist unmöglich. Einfach unmöglich.
Mit besten Grüßen,
Nirwa Sel’Dharc
Nachtrag:
Etwas Großartiges ist geschehen! Eigentlich hatte ich dieses Nimmerling-Thema bereits zur Seite gelegt, doch Sie werden es nicht glauben: ich habe soeben einen bei etwas erwischt, das zuvor noch nie dokumentiert worden war! Im Wald habe ich einen Holzfäller beobachtet, natürlich völlig im Geheimen. Nachdem der Baum zu Boden gefallen war und sich der Mann zum Nächsten aufmachte, konnte ich ein kleines Wesen davonlaufen sehen: Einen Nimmerling! Diesem bin ich unauffällig gefolgt und habe etwas wirklich Seltsames erlebt. Der kleine Kerl säte! Ob es die Saat des Baumes war, der gefällt worden war, oder eventuell Nachkommen des Nimmerlings, weiß ich nicht. Doch anscheinend tun sie viel mehr, als wir zuvor gedacht hatten! Wenige Momente später stürzte der kleine Kerl und stand nicht mehr auf. Er zerfiel.
Ich bin so stolz auf mich, auf mich und meine Geduld. Dies habe ich nun schon mindestens hunderte Male gemacht, doch zum ersten Mal habe ich solch ein Wesen davonlaufen sehen! Es ist ein Durchbruch!
2. Nachtrag:
Etwas ernüchternder als viele Wochen zuvor. Jeden Tag habe ich die Stelle aufgesucht, auf der der Baumgeist ausgesät hatte, doch es sprossen bloß kleine Bäume. Selbstverständlich ist dies dennoch bewundernswert, dies hat noch niemand sonst beobachtet, doch ich dachte, ich wäre dem Ursprung der Nimmerlinge auf die Spur gekommen. Sie sind also mitverantwortlich dafür, dass sich der Baum verbreitet. Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb die unendlich tiefen Wälder Fansteins trotz des immensen Abholzens kaum bis gar nicht zurückweichen. Interessant …
3. Nachtrag:
Vor vielen Wochen habe ich in der Nähe meiner Hütte neben dem Wald den Versuch gestartet, einen Bonsai zu ziehen und dabei einen jungen Nimmerling entdeckt! Mein Bonsai hat nun einen Paten, ist das nicht großartig!? Erst wollte er sich nicht zeigen, doch als ich ihm meine Freundschaft angeboten und bewiesen habe, ihm nichts Böses zu wollen, präsentierte er sich. Sein Name ist Zh’edir und ich habe ihm gezeigt, dass er den Topf mit dem Spross darin auch tragen kann. Er ist ihm beinahe zu schwer, doch Zh’edir ist auch noch im Wachstum. Das bedeutet, dass ich den ersten Nimmerling „erschaffen“ habe – wenn ich es so blasphemisch ausdrücken darf – der hingehen kann, wohin auch immer er will. Zh’edir ist sichtlich überfordert damit.
4. Nachtrag:
Es ist seltsam … Ursprünglich hieß es, dass Nimmerlinge die Nähe der Menschen und aller anderen Zweibeinern scheuen, doch Zh’edir weicht mir nicht mehr von der Seite. Er ist wissbegierig (auch wenn er die meisten Dinge nicht versteht)! Zh’edir ist wie der Sohn, den ich nie hatte … Zh’edir und ich … wir sind Freunde.
Seinen Baum nennt er liebevoll Plumish. Er behandelt ihn wie ein vollwertiges Mitglied, lässt ihn nie zurück und unterhält sich teilweise stundenlang mit ihm. Zh’edir kann gar nicht verstehen, dass ich Plumish nicht höre. Immer, wenn dieses Thema fällt, schimpft er mit mir und sagt, ich solle besser zuhören. Vielleicht hat er recht …
Nirwa Sel’Dharc
Ein Kommentar zu „Falensischer Haustier-Ratgeber – Der Nimmerling“